Worauf kann ich mich verlassen, wenn sich alles ständig ändert?
Dieser Artikel ist eine Antwort auf folgende Frage, die mir ein Klient schickte:
“Beziehungen enden, Freundschaften verblassen, Jobs kommen und gehen. Woran kann ich mich festhalten in einer sich ständig verändernden Welt? Wie kann ich eine Identität finden, die mir Sicherheit gibt?”
Es gibt ein Sprichwort, das besagt: „Die schlechte Nachricht ist: Wir fallen durch den leeren Raum, ohne Fallschirm und ohne etwas, an dem wir uns festhalten könnten. Die gute Nachricht ist: Es gibt keinen Boden.“ Wenn du nach Beständigkeit und einem Gefühl der Sicherheit in der Welt der Dinge – in Objekten, Beziehungen, Umständen, Ideen – suchst, dann bist du wie jemand, der durch den leeren Raum fällt, ohne jemals nach unten geschaut zu haben. Du glaubst, dass es einen Boden gibt, auf den du früher oder später aufprallen wirst, und aufgrund dieses Glaubens hast du große Angst. Du versuchst verzweifelt, Sicherheit zu finden, indem du dich an etwas klammerst. Aber alle Menschen und alle Dinge um dich her fallen genau so wie du, daher hilft es nichts, sich an sie zu klammern…
Aber wenn du aufhören würdest, nach all diesen fallenden Dingen und all diese fallenden Menschen zu greifen, und wenn du für einen Moment einfach ruhig werden und dich trauen würdest, nach unten zu schauen, was würdest du dann sehen?
Genau: Gar nichts.
Und das wäre in diesem Szenario eine sehr gute Nachricht, nicht wahr?
Wie du nichts findest
Was ist die Entsprechung zu diesem „Sehen, dass es keinen Boden gibt“, in unserer Wirklichkeit hier, in der wir nicht buchstäblich fallen?
Es ist die Erkenntnis, dass es keine Welt außerhalb von dir gibt.
Klingt verrückt?
Nun, für die fallenden Menschen klingt auch die Behauptung, dass es wirklich keinen Boden unter ihnen gibt, ziemlich verrückt… Aber wenn sie die Wahrheit hinter dieser verrückten Behauptung erkennen, ändert sich alles.
Genau wie für dich.
Ich weiß, es sieht absolut überzeugend so aus, als gäbe es eine Welt „da draußen“. Aber was wäre übrig von dieser scheinbar äußeren Welt, wenn du alles davon abziehen würdest, was du denkst? Alle Urteile, Ideen, Projektionen, Erinnerungen, Vergleiche, Beschreibungen, Namen und Überzeugungen? Wäre diese Welt dann immer noch „unberechenbar“ und “unsicher”? Oder “schön” und “interessant”? Oder wäre sie komplett neutral? Oder vielleicht nicht einmal das? Denn „neutral“ impliziert bereits, dass du die Welt mit etwas vergleichst, das weniger neutral ist als sie, was wiederum dein Denken wäre…
Es ist dein Denken und nichts als dein Denken, das deine einzigartige Erfahrung der Welt kreiert. Für dich mag der Herbst deprimierend sein, Tee beruhigend und japanischer City-Pop faszinierend. Jemand anderes erlebt den Herbst als bezaubernd, Tee als langweilig und City-Pop als beunruhigend. Das ist möglich, weil das Gefühl, das du erlebst, nicht von den Dingen und Umständen erzeugt wird, sondern von deinem Denken. Immer.
Und das Denken wandelt sich andauernd.
Hast du bemerkt, wie sich deine Wahrnehmung von etwas drastisch verändern kann, wenn sich deine Stimmung ändert? Wie die Welt erschreckend, dann magisch, dann verwirrend erscheinen kann, während du einfach nur alleine in deinem Zimmer sitzt? Wie du für einen anderen Menschen in einem Moment Liebe empfinden kannst und im nächsten Moment Gleichgültigkeit, ohne dass sich die andere Person verändert hat? Wie du dich am Dienstag als erfolgreich und am Freitag als Versager wahrnimmst, zur Mittagszeit als hässlich und am Nachmittag als hübsch?
Wenn du in deinem Denken gefangen bist, wirst du dich instabil, unsicher und so fühlen, als ob es nichts gibt, worauf du dich verlassen kannst. Und das zurecht, denn tatsächlich gibt es in deinem Denken nichts, worauf du dich verlassen kannst – es ist ständig anders und du kannst nie wissen, wie es im nächsten Moment sein wird.
Aber wenn dein Denken zur Ruhe kommt, wenn du aufhörst, dir über mögliche zukünftige Missgeschicke oder vergangene Fehler Gedanken zu machen und in den gegenwärtigen Moment zurückkehrst, verblassen deine Unsicherheiten und du fühlst dich automatisch friedlicher und glücklicher. Wenn du auf diese Art präsent bist, wird dich die Idee, dass nichts zuverlässig ist, nicht beunruhigen. Denn wenn du präsent bist, bist du tief mit dem verbunden, was im Leben völlig stabil und zuverlässig ist: Dem Jetzt.
Das Jetzt ist zuverlässig
Das Jetzt ist zuverlässig. Hast du jemals etwas erlebt, das nicht im Jetzt war?
Du kannst natürlich über die Vergangenheit und die Zukunft nachdenken, aber du kannst das nur jetzt tun. Denn Jetzt ist kein Moment in der Zeit. Es ist der zeitlose Raum, in dem die Gedanken entstehen, die das Gefühl von Zeit erschaffen.
Kannst du den Augenblick finden, in dem das Jetzt begonnen hat? Oder den Moment in dem es endet? Nein. Denn das Jetzt hat keine Dauer. Es dauert keine Sekunde, keine vier Sekunden und auch keine Nanosekunde. Es ist immer da. In diesem Sinne ist das Jetzt ewig.
Wie könnte etwas zuverlässiger sein als das?
Wenn du also das Gefühl hast, dass es im Leben nichts gibt, an dem du festhalten kannst, nichts Stabiles, nichts Zuverlässiges, kannst du sicher sein, dass du gerade das Jetzt übersiehst.
Warum passiert das?
Wegen eines einfachen Missverständnisses: Du verstehst nicht, dass deine Gefühle zu 100% durch dein Denken verursacht werden, nicht durch eine Welt „da draußen“. Daher glaubst du, dass dich dein Gefühl der Unsicherheit darüber informiert, dass das Leben gefährlich ist und dass es nichts gibt, auf das du dich verlassen kannst. Während das Gefühl dir tatsächlich nur zeigt, dass du unsichere Gedanken hast. Du fällst und glaubst, dass es einen Boden unter dir gibt, auf den du aufprallen wirst. Deshalb suchst du nach etwas, woran du dich festhalten kannst. Und das heißt: Du denkst mehr.
Du denkst immer mehr darüber nach, wie unzuverlässig alles ist, wie du deinen Job oder deine Beziehung verlieren könntest und wie schrecklich das wäre, und was zum Teufel du tun könntest, um das zu verhindern. Und bald fühlst du dich noch unsicherer. Du glaubst dann, dass dein Gefühl der Unsicherheit ein Beweis dafür ist, wie unzuverlässig alles ist (statt zu erkennen, dass es nur ein Beweis dafür ist, dass du jetzt noch mehr unsichere Gedanken erlebst). Und so denkst du noch angestrengter nach und suchst verzweifelt nach einer Lösung im nächsten Gedanken und im nächsten Gedanken und im nächsten … Das ist wie sich selbst zu schlagen und zu glauben, dass du den Schmerz durch noch mehr Schläge stoppen könntest.
Je mehr du dieses Muster verstehst, desto häufiger wirst du dich beim Denken erwischen.
Dieses „Dich beim Denken erwischen“ entspricht dem „nach unten schauen“ des fallenden Menschen in dem Beispiel vom Anfang. Du siehst wieder, dass es keinen Boden gibt. Du erkennst, dass du deine Gedanken fühlst und nicht eine unzuverlässige Außenwelt. Und anstatt mehr zu denken, wirst du dann still. Du kehrst zur Gegenwart zurück. Du entdeckst wieder das, was wirklich zuverlässig ist. Immer wieder. Und wieder.
Wie also findet man nichts? Indem man nicht nach etwas sucht.
Das Jetzt ist kein Objekt, kein Ding, kein Etwas. Es hat keine Größe, Farbe, keinen Geruch, keine Dauer, keinen Ort und keine Struktur. Deshalb wirst du, wenn du versuchst, es durch Denken zu finden, nur sehr verwirrt werden. Denn du kannst nur über Objekte nachdenken. Aber in dem Moment, in dem du aus deinem Denken aussteigst, findest du dich im Jetzt wieder. Es ist immer hier. Unmöglich zu verpassen.
Vollständig zuverlässig.
Deine wahre Identität
Dieses „Aussteigen aus unserem Denken“ ist für uns alle natürlich, es passiert viele Male am Tag. Aber meistens sind wir uns dessen nicht bewusst. Wenn du dir dieses Prozesses bewusst wirst und verstehst, dass dies der Schlüssel zu deinem inneren Frieden ist, wird das „Aussteigen“ viel öfter und viel schneller passieren. Gedanken werden immer noch weiterhin den Anschein einer von dir getrennten Außenwelt erzeugen und du wirst immer noch das gesamte Spektrum an Gefühlen empfinden, die damit einhergehen. Aber jetzt fühlst du dich nicht mehr darin verloren. Denn du verstehst, wie das Spiel funktioniert. Du verstehst, dass das Fallen nicht aufhören muss, weil es keinen Boden gibt. Du verstehst, dass das Denken nicht aufhören muss, eine wechselhafte Welt zu erschaffen, weil es dies nur im unveränderlichen Jetzt tun kann.
So wird das Jetzt zu deiner Sicherheit. Präsenz wird deine Identität. Nur dass du keine Sicherheit oder Identität mehr benötigst. Denn du hast entdeckt, dass alles, wovor du dich schützen zu müssen glaubtest, in Wirklichkeit nur aus deinem eigenen Denken gemacht war.
Es gibt wirklich keinen Boden.
Sieh selbst.
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